YaaCool: Herr Dr. Wagner, warum findet Man(n) sich so schwer mit dem Verlust der Haare ab?
Dr. Matthias Wagner, Facharzt für Chirurgie und Plastische Chirurgie: Das Gesicht ist unsere wichtigste Kommunikationsebene. Quantität und Qualität der Haare spielen in der Wahrnehmungswirkung eine große Rolle. Erblich oder hormonell bedingter Haarverlust verursacht bei Betroffenen oftmals auch den Verlust des Selbstbewusstseins und damit der Lebensqualität. Der Wunsch, sich operativ verschönern zu lassen, rührt deshalb von einem normalen Selbstbewusstsein her. Die Betroffenen wollen dem verloren gegangenen Idealbild, das sie von sich haben, wieder entsprechen.Landläufig heißt es immer, dass es ganz normal sei, bis zu 100 Haare am Tag zu verlieren. Was sagen Sie, wann ist ein Haarausfall nicht mehr normal?
Dr. Matthias Wagner: Lassen Sie mich zunächst kurz zusammenfassen, wie unsere Haare wachsen, bevor ich dazu komme, warum sie ausfallen. Jeder besitzt 100.000 bis 150.000 Haare. Ein Haarfollikel ist nur wenige Millimeter groß. In dem Mini-Organ sind verschiedene Zelltypen, die den Haarschaft produzieren. Aus der sogenannten Matrix des Haarfollikels entsteht durch einen Verhornungsprozess das Haar. Es wächst mit einer Geschwindigkeit von etwa 0,3 bis 0,5 Millimetern pro Tag. Und: Es unterliegt einem Wachstumszyklus. Unser Leben lang wechseln sich Wachstums-, Zwischen- und Ruhephasen ab. Dabei befinden sich 80 bis 90 Prozent unserer Haare jeweils in der Wachstumsphase (anagene Phase), zehn bis zwanzig Prozent in der Ruhephase (telogene Phase) und ein Prozent in der Zwischenphase (katagene Phase). Während es bei vielen Tieren einen synchronisierten Haarwechsel gibt, ist der menschliche asynchronisiert. Das heißt, dass jeder Haarfollikel unabhängig von anderen Follikeln in die verschiedenen Wachstumsphasen wechselt. Mithilfe eines sogenannten Trichogramms kann man das übrigens auch nachweisen.Um auf Ihre Frage zu antworten: Ja, es ist richtig. Von Haarausfall spricht man, wenn man täglich mehr als 100 Haare verliert. Besonders häufig von Haarausfall mit jeweils unterschiedlicher Ausprägung betroffen sind Männer, in westlichen Ländern leidet fast jeder zweite daran. Zum Vergleich: Schwarze und Chinesen zum Beispiel haben wesentlich seltener eine Glatze.
Woran erkennt Man(n), dass sich eine Glatze bildet?
Dr. Matthias Wagner: In der Regel zeigen sich als erstes die sogenannten Geheimratsecken. Häufig schreitet der Haarausfall nach bestimmten Mustern fort: Entweder als eine Verlängerung der Stirn oder als eine kahle Stelle am Hinterkopf (die sogenannte Tonsur).Warum fallen die Haare aus?
Dr. Matthias Wagner: Es gibt eine ganze Reihe von Ursachen für Haarausfall: Zum einen sind das Erkrankungen des Haarkleides wie die Alopecia areata (kreisrunder Haarausfall). Zum anderen kommen aber auch Ursachen wie Kopfhautinfektionen, Mangelzustände (zum Beispiel Mangel an Eisen oder Vitaminen), hormonelle Störungen, Medikamenteneinnahme oder Schwermetallvergiftungen in Frage. Auch gewebezerstörende Erkrankungen führen zu lokalem Haarausfall.Hormone und Neuropeptide regeln den Haarzyklus, wird dieser gestört, führt das zu einem hormonell bedingten Haarausfall. Die androgenetische Alopezie (der männliche Haarausfall) ist auf die genetische Veranlagung und den verstärkten Einfluss des männlichen Geschlechtshormons Testosteron zurückzuführen. Eine besondere Rolle spielt dabei das Hormon Dihydrotestosteron: Es führt dazu, dass die Haare an ganz bestimmten Stellen wie Stirn, Schläfen und Scheitelbereich immer dünner, heller und kürzer werden und schließlich ausfallen. Das trifft aber nicht auf alle Kopfstellen zu beziehungsweise kann das Hormon nicht auf alle Haarfollikel wirken. Entscheidend ist, wie viel des vorhandenen Testosterons in den Haarfollikeln in Dihydrotestosteron umgewandelt wird. Zunächst reagieren die Haarfollikel mit einer Rückbildung – sie produzieren nur noch Flaumhaare - gefolgt von der sogenannten Atrophie (Haarwurzeluntergang).
Ist die Entstehung einer Glatze nicht auch ein altersbedingter Prozess?
Dr. Matthias Wagner: Abzugrenzen ist die androgenetische Alopezie von der altersbedingten Reduktion der Kopfhaare. Die Blockierung der Synthese von Testosteron zu Dihydrotestosteron wird bei einer Therapie der Glatzenbildung mittels Medikamenten ausgenutzt. Bei Männern ist der Gipfel des "hormonellen Haarverlustes" zwischen dem 20. und 35. Lebensjahr, also während der Lebensphase mit den höchsten Testosteronspiegeln.Auch Frauen verlieren hormonell bedingt Haare … ?
Dr. Matthias Wagner: Bei der Frau tritt die androgenetische Alopezie nicht selten im Verein mit diffusem Haarausfall anderer Genese auf. Eine Hormonanalyse kann bei Anzeichen einer sogenannten Virilisierung helfen, die Ursachen des Haarausfalls genauer zu differenzieren. Beim Mann ist diese Untersuchung in der Regel allerdings wenig erfolgversprechend.