YaaCool: Herr Dr. Lindschinger, Zusatzstoffe sind heutzutage aus unserer Nahrung nicht mehr wegzudenken. Doch was sind Zusatzstoffe eigentlich und wozu dienen sie?
Prim. Dr. Meinrad Lindschinger: Zusatzstoffe dienen in erster Linie der Haltbarmachung, also dem Erhalt von Nährstoffen und der Konsistenz der Lebensmittel. Bereits in der Urzeit wurden Kräuter zur Haltbarmachung eingesetzt. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts hat man Säuren, Derivate wie auch Emulgatoren und Verdickungsmittel entdeckt. An besonderer Bedeutung gewonnen haben Geruchs- und Geschmacksstoffe wie auch Antioxidantien.Das Gesetz definiert Zusatzstoffe so: Laut § 2 Absatz 3 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) gelten alle Stoffe als Zusatzstoffe, die nicht zu den Lebensmitteln und Zutaten zählen und einem Lebensmittel "aus technologischen oder diätetischen Gründen" beigemischt werden. Natürliche oder naturidentische Stoffe wie Vitamine oder Aromen dagegen sollen den Geschmack, Geruch oder Nährwert von Nahrungsmitteln verändern und sind daher Zutaten. Die Grenze zwischen Zutaten und Zusatzstoffen ist jedoch fließend.
Im deutschen Recht gelten zudem Aminosäuren, Vitamin A und D, Mineralstoffe sowie künstliche Aromen als Zusatzstoffe, obwohl sie Eigenschaften der Zutaten haben. Nicht zu den Zusatzstoffen gehören dagegen Pflanzenschutzmittel, alle anderen Aromen sowie technische Hilfsstoffe. Das sind Stoffe, die einem Lebensmittel aus technologischen Gründen in der Verarbeitungsphase beigemischt werden und als Rückstand zurückbleiben, im Endprodukt aber keine Wirkung mehr haben (zum Beispiel Enzyme oder Entkeimungsmittel). Sie müssen nicht auf der Zutatenliste genannt werden.
Welche verschiedenen Zusatzstoffe gibt es?
Prim. Dr. Meinrad Lindschinger: Europaweit sind derzeit 316 Stoffe mit einer E-Nummer zugelassen. Sie gehören in die folgenden Kategorien:- E 100 - E 180 Farbstoffe
- E 200 - E 297 Konservierungsmittel
- E 300 - E 385; E 270 Antioxidantien
- E 400 - E 495 Verdickungsmittel
- E 260 - E 450; E 500 - E 538 Säureregulatoren
- E 541 - E 585; E 900; E 925 - E 948; E 1505, E 1518 Diverse wie Backtriebmittel, Treib- und Schutzgase, Schaumverhütungsmittel, Emulgatoren, Feuchthaltemittel
- E 620 - E 640 Geschmacksverstärker
- E 901 - E 914 Trennmittel
- E 950 - E 999; E 420, E 421 Zuckeraustauschstoffe
- E 1105 - E 1450 Enzyme
Sind Zusatzstoffe immer künstlich oder werden auch natürliche Zusätze verwendet?
Prim. Dr. Meinrad Lindschinger: Sie können natürlichen oder synthetischen Ursprungs sein. Natürliche Zusatzstoffe können aus pflanzlichen (Verdickungsmittel), tierischen (Lecithin) oder anorganischen Stoffen gewonnen werden. Die E-Nummer gibt keine Auskunft, ob der jeweilige Zusatzstoff natürlich oder synthetisch ist.Müssen alle Zusätze auf der Verpackung eines Nahrungsmittels genannt werden?
Prim. Dr. Meinrad Lindschinger: Auf verpackten Lebensmitteln müssen alle Zusatzstoffe angeführt werden.Nach welchen Kriterien werden Zusatzstoffe in der EU zugelassen?
Prim. Dr. Meinrad Lindschinger: Seit dem 20.Januar 2009 gibt es eine neue europaweite Gesetzgebung für die Verwendung von Zusatzstoffen in Lebensmitteln. Es werden nur Zusatzstoffe zugelassen, welche sicher in der Anwendung sind und dessen Einsatz dem Verbraucher Vorteile bringt und nicht täuscht.Verboten sind Zusatzstoffe in unverarbeiteten Erzeugnissen sowie Süß- und Farbstoffe in Baby- und Kleinkindnahrung.
Der Farbstoff E 128 darf gar nicht mehr zugesetzt werden. Ab Juli 2010 gilt zudem eine besondere Kennzeichnungspflicht für Azofarbstoffe mit zusätzlichem Aufdruck "kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen"!
Einige Zusatzstoffe sind also gesundheitsschädlich? Welche Zusatzstoffe sehen Sie als besonders bedenklich an?
Prim. Dr. Meinrad Lindschinger: Mehr als die Hälfte der 316 Stoffe gelten, nach neustem wissenschaftlichem Stand, als unbedenklich. Jedoch lassen sich Auswirkungen auf Verdauung, Allergie-Entstehung und Stoffwechselerkrankungen nicht ausschließen.Grundsätzlich sollten Zusatzstoffe nicht gesundheitsschädlich sein, da sie vor ihrer Zulassung diversen langwierigen Überprüfungen unterliegen. Es gibt einen ADI-Wert (Acceptable Daily Intake), der die tolerierbare Tagesdosis bestimmter Substanzen, also die Menge, angibt, welche ein Mensch lebenslang jeden Tag aufnehmen kann, ohne gesundheitliche Schäden davonzutragen.
Dennoch können Nebenwirkungen auftreten: Größere Mengen an Süßstoffen können zum Beispiel zu Blähungen und Durchfall führen (zum Beispiel E 953, Isomalt). Außerdem gilt: Jeder Mensch hat eine individuelle Verträglichkeit. So können bei manchen Menschen einige zuckerfreie Bonbons bereits zu Durchfall führen. Darüber hinaus wird der Farbstoff E 123 (Amaranth, roter Azofarbstoff – nicht mit dem Getreide Amaranth zu verwechseln!) immer wieder im Zusammenhang mit Krebs diskutiert und wurde bereits in den USA und Russland verboten.
Besonders der Süßstoff Aspartam ist in Verruf geraten. Er soll unter anderem Nervenzellen schädigen. Sind die Befürchtungen berechtigt?
Prim. Dr. Meinrad Lindschinger: Aspartam ist ein künstlicher Süßstoff (E 951) und wird meist Kaugummi und Softdrinks zugesetzt. In der EU gilt eine maximale Tagesdosis von 40 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag als nicht toxisch. Das wären für eine 70 Kilogramm schwere Person circa 266 Süßstofftabletten. Einige Studien zeigten einen Zusammenhang zwischen Aspartamkonsum und der Entstehung von Hirntumoren und Leukämie, dies konnte jedoch durch weitere Studien nicht bestätigt werden. Um mögliche Nebenwirkungen zu vermeiden, gilt einfach: je weniger, desto besser.Würden Sie dazu raten, auf Nahrungsmittel mit Zusatzstoffen zu verzichten?
Prim. Dr. Meinrad Lindschinger: Am sichersten ist der Griff zu Lebensmitteln, die so wenig wie möglich verarbeitet wurden und für deren Zutatenliste kein "Fremdwörterbuch" benötigt wird. Diese Lebensmittel sind meist am nährstoffreichsten und enthalten am wenigsten Zusatzstoffe.Folgende Lebensmittel dürfen gar nicht durch Zusatzstoffe verändert werden und sind daher unbedenklich: frisches Obst, Gemüse, rohes Fleisch, Pflanzenöle, Honig, Milch, Butter, Teigwaren, Mineralwasser sowie Kaffee und Tee.
Farbstoffe, Stabilisatoren, Geschmacksverstärker, Süßstoffe sowie ein großer Teil anderer Zusatzstoffe sind für Bio-Lebensmittel nicht zugelassen. Empfehlen Sie, zu Bio-Kost zu greifen?
Prim. Dr. Meinrad Lindschinger: Es gibt sehr strenge Richtlinien der ökologischen Anbauverbände (EG-Öko-Verordnung), jedoch sind auch gewisse Zusatzstoffe zulässig wie Apfelsäure, Ascorbinsäure, Lecithin, Agar Agar, Pektin und so weiter. Eine Bio-Kost hat im Verhältnis zum integrierten Anbau kaum Vorteile in der Nährstoffdichte. Ratsam ist immer, auf die deklarierte Herkunft und auf die Qualitätskriterien der Vermarktungsgesellschaften zu achten.Wenden wir uns noch einem anderen Thema zu: Ein Begriff, dem wir im Bereich Ernährung inzwischen überall begegnen, ist Kalorie. Doch was sind eigentlich Kalorien? Und wie werden sie berechnet?
Prim. Dr. Meinrad Lindschinger: Kalorien wurden/werden als alte Maßeinheit für Energie (Wärmeenergie) verwendet. Abgelöst wurde die "Kalorie" durch die internationale SI-Maßeinheit Joule. Der Brennwert von Lebensmitteln wird in Kalorien aber auch in Joule angegeben: Mit einer Kalorie wird Wasser von 14,5 auf 15,5 Grad Celsius erwärmt. Eine Kilokalorie (kcal) sind 1.000 Kalorien, eine Kalorie entspricht 4,19 Joule.Wir beziehungsweise unser Körper benötigt Energie (Kalorien/Joule) zur Aufrechterhaltung aller wichtigen Körperfunktionen wie Atmung oder Herzschlag. Der Grundumsatz, also der Energiebedarf in völliger Ruhe, beträgt circa 1 kcal/Stunde/Tag. Diese Energie wird über die Nahrung zugeführt. Essen wir zu wenig, haben wir ein Energiedefizit - und nehmen ab. Und umgekehrt, ein Energieüberschuss führt zur Energiespeicherung (meistens Speicherfett) und wir nehmen zu.
Hängt die aufgenommene Energiemenge auch davon ab, wie die Nahrung beschaffen ist? Verbrauchen wir zum Beispiel mehr Energie, wenn wir einen Müsliriegel verdauen, als bei dem Verzehr eines Kuchenstücks?
Prim. Dr. Meinrad Lindschinger: Im Allgemeinen gilt, wird mehr Energie aufgenommen als verbraucht, führt dies zu Übergewicht. Die Zusammensetzung der Lebensmittel spielt natürlich eine wichtige Rolle. Eine optimale Versorgung mit Energie und Nährstoffen (Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente) ist lebensnotwendig. Wir benötigen Energie, um unsere "Nahrung" zu verdauen, dies nennt man spezifisch dynamische Wirkung.Wie in meinem neuesten Buch "Iss dich schön, klug und sexy mit Functional Eating®" (riva Verlag) genauestens beschrieben wurde, kann durch die richtige Kombination der Lebensmittel die Energieaufnahme reduziert und aber die Nährstoffdichte erhöht werden - und dies zugeschnitten auf unterschiedliche Zielgruppen wie zum Beispiel für geistige Anstrengungen oder körperliche Ausdauer.