YaaCool: René Koch, was fasziniert Sie so sehr am Lippenstift, dass Sie dem kleinen roten Verführer nicht nur ein Buch gewidmet haben, sondern jetzt auch die Ausstellung "Verführung in Rosé" auf Schloss Wackerbarth in Radebeul?
René Koch, Star-Visagist: Meine Leidenschaft für die Geschichte des Lippenstifts erwachte bereits vor über 20 Jahren. Ich arbeite nun schon seit über vier Jahrzehnten als Visagist und erlebe seit dieser Zeit immer wieder, dass für Frauen der Lippenstift das wichtigste Utensil der dekorativen Kosmetik ist. Meine Wahrnehmung scheint nicht zu trügen, denn heute ist der Lippenstift auch eines der wichtigsten wirtschaftlichen Kosmetik-Güter. Weltweit steht er an der Spitze, was die Verkaufszahlen der dekorativen Kosmetik betrifft - ein Milliardengeschäft - das vor gut 125 Jahren noch niemand für möglich gehalten hätte.Wo fand der Trend, Lippen durch rote Farbe zu betonen, seinen Ursprung - kurz: wer hat's erfunden?
René Koch: Bereits die alten Ägypterinnen wussten ihre Lippen gekonnt durch Farbe in Szene zu setzen. Jedoch erblickte erst 1883 der Lippenstift, so wie wir ihn heute kennen, das Licht der Welt. Das war in Paris: Zwei Parfümeure hatten den ursprünglichen Lippenstift auf geniale Weise weiterentwickelt. Sie härteten das Farbgemisch mit Hirschtalg und lösten dadurch den Gips ab, der zuvor alles andere als Pflege für die Lippen war - im Gegenteil, er führte dazu, dass die empfindliche Haut Risse bekam. Die beiden kreativen Parfumeure präsentierten ihre ersten selbstgefertigten Stifte das erste Mal noch im selben Jahr auf der "Internationalen Kolonial- und Exportausstellung" in Amsterdam. Sie tauften die handgefertigten Lippenstifte auf den Namen " Rhodopis Serviteur" (übersetzt soviel wie "Diener für rosiges Aussehen" - Anmerkung der Redaktion) - und boten sie für heute umgerechnet 50 Euro an - das war damals ein sehr stolzer Preis.Bedeutete das, dass lediglich die reichen Damen von der neuen Kreation "Lippenstift" profitierten?
René Koch: Nein im Gegenteil, zuerst war der Lippenstift gesellschaftlich geächtet. Er wurde dem Rotlichtmilieu rund um den Pariser Montmartre gleich gestellt. Damen, die etwas auf sich hielten, lehnten das "vulgäre" Lippenrot ab. Das änderte sich dann jedoch, als das neue Jahrhundert anbrach und das Lippenrot immer mehr in der Kunst und Schauspielwelt zum Einsatz kam - ab dieser Zeit gehörte es zum alltäglichen Chic, die Lippen farblich zu betonen. Aber auch die Frauenrechtlerinnen trugen ihren Teil für die Anerkennung des Lippenstifts bei. Sie kämpften Anfang des 20. Jahrhunderts für die Rechte der Frauen. Dafür schminkten sie sich auf ihren Demonstrationen die Lippen rot und unterstützten damit den Siegeszug der "sinnlichen Waffe" - rund um die Welt. Heute nutzen jährlich circa 700 Millionen Menschen weltweit Lippenstifte und Lipglosse. Alle 23 Sekunden geht ein Lippenstift oder -gloss über den Ladentisch. Grund genug, der damaligen kosmetischen Revolution mehr Aufmerksamkeit zu schenken.In Ihrem Buch "Lucky Lips - rote Verführung" beschreiben Sie eindrucksvoll die Chronologie des Lippenstifts von 1883 bis heute. Doch nicht nur das, zu jedem Zeitalter präsentieren Sie auch Exemplare des Lippenverführers aus der jeweiligen Epoche. Wie kommt man an diese kosmetischen Schmuckstücke?
René Koch: Das ist meine Ausbeute aus 20 Jahren Sammelleidenschaft. Kein Trödelmarkt, keine Auktion auf der Welt, die ich nicht mit der Leidenschaft eines Jägers nach Lippenbekenntnissen der Geschichte durchforstet hätte. Inzwischen besitze ich eine Hundertschaft von Lippenstiften aus aller Welt. Den Ersten erhielt ich übrigens von Hildegard Knef, mit der ich über viele Jahre sowohl beruflich als auch freundschaftlich verbunden war. Es war ein lachsfarbener und sie wollte ihn wegwerfen, weil nicht mehr viel drin war. Ich hob ihn jedoch auf und sagte, dass der irgendwann in mein Lippenstift-Museum kommen solle. Was damals eher scherzhaft gemeint war ist heute Realität geworden.An welchen Lippenstiften aus Ihrer Sammlung hängt Ihr Herz besonders?
René Koch: Da ich nicht nur verrückt nach Lippenstiften bin, sondern nach allem was die Entwicklung des "Stylo d´amour" - wie ihn die berühmte Pariser Schauspielerin Sarah Bernhardt schon treffend im ausgehenden 19. Jahrhundert bezeichnet hat - dokumentiert, gibt es einige Exponate, die mir besonders wichtig sind. Dazu gehören vor allem ein halbes Dutzend Lippenstifte aus dem Nachlass der südamerikanischen Ikone Evita Perón, alte Plakate von Hilde, auf denen sie für den "Volkslippenstift" wirbt, oder auch Reklame für den perfekt geschminkten Mund von Hollywoodlegenden wie Lana Turner oder Rita Hayworth. Aber auch weniger glamourösen Lippenstiften, wie zum Beispiel die aus der ehemaligen DDR, gebührt meine Faszination.Was bedeutet Lippen-Make-up für Sie als Schmink-Profi?
René Koch: Auch wenn Schminke nicht alles für ein perfektes Aussehen ist, so kann sie doch viele persönlichen Merkmale optimal unterstreichen und dadurch erst richtig zur Geltung bringen. Für mich sind es zwar zuallererst Charme, Ausstrahlung, Souveränität und Lebensklugheit, die einen Menschen auszeichnen. Jedoch gibt es Regeln, die diesen Eindruck verbessern. Wer weiß, wie das bestmöglich umgesetzt werden kann, kann mehr aus sich machen und damit auch beruflich wie privat erfolgreicher sein. Der richtig geschminkte Mund trägt entscheidend zum positiven optischen Eindruck bei. So rate ich meinen Klientinnen manchmal, dass etwas mehr Rot auf den Lippen, den Blick auf das Gesicht lenkt. Besonders wichtig, wenn die Körperrundungen ausgeprägter sind: Lippenrot macht eine schmale Taille!Nun zur Ausstellung - was erwartet die Besucher auf Schloss Wackerbarth?
René Koch: Die Exponate aus meiner Sammlung kommen einem historischen Bilderbogen gleich. Ich denke, dass dies Sammlung einzigartig ist, denn ich öffne meine persönliche Schatztruhe für die Besucher, die seltene und wertvolle Lippenstifte, Beautyplakate und Schönheitsanzeigen enthält und diese "schöne" Wunderwaffe der Frauen von 1883 bis heute reflektiert. Angefangen bei Sarah Bernhardt, über Pola Negri, Zarah Leander, Evita Peron bis hin zu Grace Kelly und Hildegard Knef kann der Besucher bühnenreife Geschichte schnuppern. Zu sehen sind außerdem über 125 handsignierte Kußabdrücke von Prominenten wie Brigitte Nielsen, Bonnie Tyler, Mireille Mathieu oder Barbara Becker. Außerdem bieten wir Führungen an, die gespickt mit vielen Anekdoten, die Kulturgeschichte des verführerischen Lippenrouges zum Besten geben. Aber auch die Zeit vor dem Lippen-Star wird beleuchtet und wir berichten, was "davor" chic auf den Lippen war, als es die rote Pomade noch in Tiegelchen gab. Wie in den Zeiten, als Gräfin Cosel noch auf Schloss Wackerbarth als enge Vertraute von Kabinettminister August von Wackerbarth agierte.Was für eine historische Rolle spielte Gräfin Cosel denn, dass die Ausstellung "Verführung in Rosé" an einem so geheimnisvollen Ort wie Schloss Wackerbarth stattfindet?
René Koch: Anna Constantia von Cosel war die bedeutendste Mätresse August des Starken. Zudem hatte sie großen Einfluss am Dresdner Hof. Mit Schönheit, Klugheit und Charme eroberte sie seinerzeit einen der mächtigsten Herrscher. Als Hommage an den betörenden Liebreiz und die verführerische Grazie der Gräfin haben wir diesen geschichtsträchtigen Ort für unsere Ausstellung gewählt. Ich denke, dass die "glamourösen Verführer" auf Schloss Wackerbarth genau in den glanzvollen räumlichen Rahmen gebettet werden, den sie verdienen. Und um das zu unterstreichen, gibt es im Rahmen der Ausstellung eine auf 1.000 Stück limitierte Lippenstift-Edition: Sie trägt den Namen "Lip-Rosé Gräfin Cosel created by René Koch". Und um den Kribbeleffekt auf den Lippen auch ganzheitlich spüren zu können, gibt es zusätzlich den "Rosé-Sekt Gräfin Cosel", eine edle Flaschengärung, die eigens für diese Ausstellung kreiert wurde. Also: Die Ausstellung ist noch bis 28. Mai dort zu besichtigen - ein Muss für alle Lippenstift-Fans und solche, die sich für die Kulturgeschichte des "Stylo d‘amour" interessieren.Sehr geehrter René Koch, wir danken Ihnen herzlich für das Interview und wünschen Ihnen viel Erfolg in Radebeul!
Weitere Informationen:
Ausstellung im Schloss: 9. bis 28. Mai 2009, geöffnet täglich 10:00 - 18:00 Uhr
Wer die Ausstellung in Radebeul nicht sehen kann, hat ab Ende Mai die Gelegenheit, das nachzuholen: "Verführung in Rose" gibt es dann im
Berliner Cosmetic & Camouflage Centrum von Reneé Koch zu bewundern.
(9. Mai 2009: Führung mit René Koch um 11:00, 13:00 und 15:00 Uhr - inklusive eines Glases Gräfin Cosel Sekt. Eintritt: 15 Euro)