YaaCool-Chefredakteurin Doreen Brumme sprach mit Miriam Pielhau darüber, was es für Körper, Geist und Aussehen bedeutet, krank zu sein, die Hölle einer Chemotherapie zu überleben, gesund und wieder schön zu werden und dabei nie sich selbst zu verlieren, sondern mutig und humorvoll, lebenshungrig und willensstark zu bleiben. Die ehrliche und nichts auslassende Art von Miriam, ihr Umgang mit dem Thema Krebs überrascht. Ihre selbstlose Offenheit überwältigt. Ihr Lebenswille steckt an. Das macht das Buch "Fremdkörper" so lesenswert und neugierig auf ein persönliches Gespräch – ein Gespräch zweier junger Frauen, die dem Tod bereits begegnet sind.
Miriam Pielhau, TV-Moderatorin, Autorin: Hallo, Frau Brumme! Hier spricht Miriam Pielhau.
Doreen Brumme, Chefredakteurin YaaCool: Hallo, Frau Pielhau! Ich freue mich sehr, dass ich heute mit Ihnen über Ihr Buch "Fremdkörper" sprechen kann. Ihre Agentin sagte mir, wir hätten etwa dreißig Minuten Zeit … Deshalb muss ich als Erstes etwas loswerden: Ich bin selbst Betroffene. Ich hatte meine eigene Begegnung mit dem Krebs. Ich finde, es ist wichtig für unser Gespräch, dass Sie das wissen. Ich gehöre sozusagen zum Club …
Miriam Pielhau: Oh. Das tut mir leid. Darf ich fragen …Sicher. Das war 2000, ich 28. Malignes Melanom. Wächter-Lymphknoten frei von Krebszellen. Keine Chemo. Viele OPs seitdem, zur Sicherheit. Jedoch alle mit negativen Befunden.
Miriam Pielhau: Das ist gut. Das ist knapp zehn Jahre her - Sie gelten als geheilt, als gesund …Ja. Das stimmt. Ich möchte gleich noch etwas vorweg schicken: Ich bin vor wenigen Monaten zum dritten Mal Mutter geworden und betreue meine kleine Tochter parallel zum Job. Es kann also hier zu "Nebengeräuschen" kommen, da ich sie auch stille. Ich bitte Sie, das zu entschuldigen. Ich hoffe, es stört Sie nicht!?
Miriam Pielhau: Keinesfalls. Überhaupt gar nicht! Ich mag Kinder. Ich mag Kinder sogar sehr. Selbstverständlich ... Ich hätte später gerne auch Kinder.Miriam, ich kann vieles, was Sie in Ihrem Buch geschildert haben, aus eigenem Erleben nachfühlen. Ich bin dankbar, dass Sie Ihre Gefühle, Ihre Auseinandersetzung mit dem Krebs so offen und ehrlich beschrieben haben, was bewog Sie zu diesem Schritt?
Miriam Pielhau: Aufgrund der Behandlung, die ich zu absolvieren hatte, hatten meine Ärzte mich schon von vornherein gebeten, meine Befindlichkeiten während der Chemotherapie zu notieren. Ich habe also so eine Art Tagebuch geführt. Als meine Krankheit dann öffentlich bekannt wurde, hat meine Agentur mich eines Tages angesprochen. Dass es da einen Verlag gäbe, der ein Sachbuch über Krebs plane. Ich bräuchte gar nichts zu tun, nur meinen Namen herzugeben. Sowas kam für mich nicht in Frage.Ich wusste aber sofort: Selbst alles aufzuschreiben, was ich erlebe, ein Buch zu schreiben, das ist das, was ich machen wollte - und bin heute froh, dass ich mich so entschieden habe. Ich habe den Sinn in meiner Erkrankung gesucht. Vielleicht war es der, anderen Betroffenen zu begegnen, ihnen zu sagen, 'mir geht es ähnlich wie Euch' und ihnen Mut zu machen.
Und welche Reaktionen bekommen Sie auf das Buch?
Miriam Pielhau: Das Buch wird gut angenommen, wie der Verlag berichtet. Bei meinen öffentlichen Lesungen habe ich viele ganz kleine, persönliche Begegnungen mit meinen Lesern, häufig sind es Krebspatienten. Eine Frau trat nach einer Lesung an mich heran und erzählte mir, dass sie sich ganz genauso fühlte, wie ich es beschrieben hatte. Mit dem Unterschied, dass sie ihrer Familie das überhaupt nicht im Ansatz beschreiben könnte. Deshalb habe sie ihren Lieben nach der Lektüre von "Fremdkörper" einfach mein Buch auf den Tisch gelegt und gesagt: ‚Hier! Lest! So fühle ich mich!’Ich habe der Frau zu Worten verholfen.
Ich wüsste gerne, was der Krebs mit Ihnen gemacht hat. Als TV-Moderatorin kennen wir Sie von vielen Sendungen, von vielen Sendern. Sie wirkten auf mich immer wie ein "Hans Dampf in allen Gassen": vielseitig, talentiert und immer vielbeschäftigt. Wichtiges Attribut – Ihr attraktives Äußeres. Was bedeutete es Ihnen, mit der Chemotherapie alle Haare und damit eins der für eine Frau wichtigsten Schönheitsmerkmale zu verlieren?
Miriam Pielhau: Ich habe dem Krebs keine Aufenthaltsgenehmigung für meinen Körper erteilt. Ich habe die Behandlung nicht nur ertragen, um gesund zu werden, ich habe sie deshalb aus tiefster Überzeugung befolgt. Es war so, wie ich es im Buch beschreibe. Ich habe meine Haare, 40 Zentimeter, zuerst von meiner Friseurin radikal kürzen lassen und etwas später dann selbst abrasiert, bevor sie alle ausfielen. Ich wusste ja, es würde passieren. Das konnte ich nicht ändern. Aber ich wollte den Moment bestimmen. Ich habe mir immer gesagt, wenn die Haare ausfallen, dann greift die Chemotherapie. Ich wollte ja, dass die Medikamente ihren Job gegen den Krebs tun. Deshalb konnte ich mich von meinen Haaren trennen.Da muss ich einhaken: Ihr Mann Thom unterstützte Sie dabei, er half, den Schädel zu rasieren. Er ist ein wichtiger Träger Ihrer Geschichte, Ihres Lebens. Mit dem Beschreiben Ihres Unglücks und Ihres Glücks offenbaren Sie den Lesern sehr vieles von ihm, von Ihrer Zweisamkeit.
Miriam Pielhau: Das stimmt. Und ich habe sehr lange mit ihm darüber gesprochen, dass ich, wenn ich ein solch persönliches Buch schreibe, nichts auslassen werde. Auch ihn nicht. Er war einverstanden, dass ich sein Innerstes zum Teil nach außen kehre.Das macht die Authentizität Ihres Buches aus, Sie scheuen sich nicht, uns Leser teilhaben zu lassen an Ihren Schmerzen, Ihrem Seelenunfrieden und der Hoffnung, die Sie nie aufgegeben haben. Doch zurück zur Frisur, die Glatze lenkte doch sicher Blicke auf sich?
Miriam Pielhau: Ja und nein. Ich erlebte, was alle Betroffenen kennen: Blicke, die mich mitleidig trafen, Blicke, die nur kurz über meine androgyne Optik stolperten und Blicke, die über mich hinweg sahen. Ich gehörte irgendwie nicht mehr dazu. Aussortiert.Aus der Yellow Press weiß ich: Während der Erkrankung haben Sie bei öffentlichen Auftritten mitunter auch eine langhaarige Perücke getragen. Ihre erste TV-Sendung noch während der Chemo machten Sie jedoch ohne die künstlichen Haare. Sie zeigten sich mit den noch sehr kurzen nachgewachsenen Haaren. Das hat für Aufsehen gesorgt. Wer bis dahin nicht wusste, dass Sie an Krebs erkrankt waren, ahnte es jetzt.
Miriam Pielhau: Ich liebte meine langen Haare. Als sie wieder wuchsen, freute ich mich – natürlich. Das wollte ich zeigen.Wie lang sind sie inzwischen?
Miriam Pielhau: Bis zur Schulter! Eine Hochsteckfrisur kann ich damit schon wieder machen. Und: Sie locken sich alle. Wellen hatte ich ja schon früher. Aber jetzt sind es richtige Locken!Werden Sie sie wieder lang wachsen lassen?
Miriam Pielhau: Ich bin noch nicht sicher. … Doch, ich denke schon.Weil wir hier über Äußerlichkeiten wie Haare reden, will ich auch wissen: Hat der Krebs Ihre Beziehung zu Ihrer Brust verändert?
Miriam Pielhau: Anfangs hatte ich mit dem Schnitt und der frischen Narbe Probleme. Inzwischen habe ich mich akzeptiert, wie ich bin. Die Narbe ist viel unscheinbarer geworden.Miriam, der Krebs in Ihrer Brust war nicht Ihre erste Konfrontation mit dem Tod. Sie sind ihm während des verheerenden Tsunamis im indischen Ozean am 26. Dezember 2004 schon einmal begegnet. Sie haben die Todeswelle in Thailand überlebt. Hunderttausende andere in ganz Asien nicht. Wenn man solche Dinge durchgemacht hat, hat man da noch vor irgendetwas Angst?
Miriam Pielhau: Nun, wenn ich in ein Flugzeug steige, mache ich mir keine Sorgen mehr, abzustürzen. (lacht) Aber mal im Ernst: Ja, ich habe Angst, dass der Krebs meinen Körper nicht vollständig verlassen hat. Wie ist es denn bei Ihnen?Ich hatte keinen neuen Hautkrebs. Aber die Angst, dass er wiederkommen könnte, ist immer da. Allein das Lesen Ihres Buches hat mich in ein Wechselbad der Gefühle gestürzt. Es hat alte Ängste neu geschürt und neue verursacht: Denn ich habe heute viel mehr zu verlieren, als noch vor zehn Jahren. Meine Kinder … Ich fasste dank Ihrer Schilderung aber auch neuen Mut, den ich diesen Ängsten entgegen setzen kann: Denn Sie haben es geschafft. Sie haben sich dem Krebs bewusst verweigert, ihn als Eindringling angesehen und so auch behandelt und ihn besiegt. Manchmal denke ich, Sie sind ihm davongelaufen …
Miriam Pielhau: Ja, das Laufen war ein wichtiger Schlüssel. Egal, wie es mir geht, ich laufe. Ich weiß nicht, ob ich es ohne das Laufen geschafft hätte.Medizinische Maßnahmen gegen den Krebs zerstören nicht nur äußerliche Attribute weiblicher Schönheit wie Brust oder Frisur. Sie berichten in Ihrem Buch ganz offen davon, dass Sie sich haben Eizellen entnehmen und einfrieren lassen. Weil es aufgrund der starken Chemotherapie sein könnte, dass Ihre Eierstöcke nicht mehr optimal arbeiten, wenn Sie Ihren oben erwähnten Kinderwunsch in die Tat umsetzen wollen. Ich kann Ihnen Mut machen: Ich habe heute drei gesunde Kinder – nachdem ich sechs zuvor in Folge verloren habe, fünf im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung nach dem Krebs. Es gibt immer Hoffnung. Bitte, auch wenn es beim ersten oder zweiten Mal nicht klappt. Versuchen Sie es! Auch wenn es weh tut.
Miriam Pielhau: … das ist ja unfassbar. Frau Brumme, das werde ich nicht vergessen. Ich werde es mir immer wieder sagen, wenn es einmal so weit sein sollte. Ich bin sehr froh, dass Sie mir das heute alles von sich erzählt haben. Danke.Ich habe zu danken. Ich glaube fest daran, dass es hilft, über solche Erlebnisse zu reden. Und das Erlebte ins Leben einzubeziehen. Sie haben das gemacht. Mit Ihrem Buch helfen Sie heute zum Beispiel einer krebskranken Frau, das Verständnis der Familie zu wecken. Mit Ihrem Engagement für die "Beluga School for Life" helfen Sie Kindern im thailändischen Khao Lak, die durch den Tsunami obdach- und/oder elternlos geworden sind (siehe Link unten). Ich danke, dass wir heute darüber geredet haben.
Miriam Pielhau, danke für das Gespräch und alles Gute, vor allem: Gesundheit!
Miriam Pielhau: Die wünsche ich Ihnen auch!PS: Ich hatte kaum Notizen machen können, während wir sprachen. Und das lag nicht an meinem Baby. Unser Gespräch hatte mich sehr bewegt. Und sich tief in meinem Gedächtnis eingebrannt. Es arbeitete in mir. Jetzt, einige Wochen später, habe ich es endlich niedergeschrieben. Und während ich es tippte, verfolgte ich mit Ohren und halbem Auge die Echo-Verleihung 2010 in der ARD. Als Peter Maffay sang "Über sieben Brücken musst Du geh’n, sieben dunkle Jahre übersteh’n, sieben Mal wirst du die Asche sein, aber einmal auch der helle Schein ...", schenkte ich der Sendung meine volle Aufmerksamkeit. Wie wohl sämtliche Anwesende fiel auch ich in den Song ein. Plötzlich schwenkte die Kamera auf Miriam Pielhaus Gesicht - zumindest meinte ich, sie für einen winzigen Augenblick im Publikum gesehen zu haben. Auch sie sang mit. Es war schön, sie zu sehen.
Zur Person: Miriam Pielhau
Miriam Pielhau, (Mutter: Deutsche, Vater: Iraner) wurde am 12. Mai 1975 in Heidelberg geboren. Dort lebte sie, bis ihre Familie 1988 nach Bad Berleburg zog, wo sie ihr Abitur machte. Seit 1998 moderiert Miriam Pielhau Sendungen im Fernsehen, zum Beispiel bis 2001 die Livesendung "NBC GIGA" auf NBC Europe. Im Februar 2001 wurde Miriam Pielhau laut Wikipedia Chefredakteurin des Senders und für ihre Arbeit dort mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Seit 2003 ist die Moderatorin mit dem Sänger Thomas Hanreich verheiratet.Infos zum Buch: Miriam Pielhau: Fremdkörper. mvg Verlag. München. 2009. ISBN: 978-3868820270. Preis: 17,90 Euro.