Laut einer neuen Studie bekannten sich über die Hälfte junger Erwachsener zur Intimrasur. YaaCool fragt den Leiter der Studie, Prof. Dr. Elmar Brähler, ob die freigelegte Scham die insbesondere bei Frauen immer häufiger werdenden und nicht ungefährlichen Intim-Operationen fördert.
YaaCool: Prof. Dr. Elmar Brähler, in Ihrer bundesweiten repräsentativen Umfrage sind Sie zu dem Ergebnis gekommen, dass vor allem junge Frauen ganz besonderen Wert auf Enthaarung im Intimbereich legen. Demnach entfernen sich über die Hälfte der jungen Frauen und ein Großteil der Männer die Schamhaare. Woher kommt die große Lust auf die IntimfrisurBrazilian Waxing wird immer beliebter. Brazilian Waxing bezeichnet nicht nur eine Methode der Haarentfernung, auch eine ganz bestimmte Intimfrisur wird so genannt. Lesen Sie hier alles über das Waxing und was es mit den Intimfrisuren Hollywood Cut und Landing Strip auf sich hat.
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Prof. Dr. Elmar Brähler: Das Massenphänomen Körperenthaarung ist nicht neu. Bereits seit vielen Jahrhunderten versuchen Menschen, ihre Körperbehaarung in den Griff zu bekommen. Das ist je nach Zeitgeist mal mehr oder weniger stark ausgeprägt. Auch im Intimbereich wurden zum Beispiel bereits in der Antike die Haare entfernt. Über die Gründe der Haarentfernung gibt es verschiedene Ansichten. In unserer Studie gaben mehr als 60 Prozent hygienische Gründe an, mehr als 70 Prozent der Frauen sagten "weil ich mir so besser gefalle" und mehr als ein Viertel der Männer gab besseren Sex als Grund an. Das sind die offen genannten Gründe. Sicher gibt es zudem eine Vielzahl von unbewussten Einflüssen. So werden jungen Menschen in Zeitschriften wie der "Bravo" heutzutage kaum noch Gleichaltrige oder Stars präsentiert, die nicht enthaart sind.
Welche Rolle spielt Sexualität bei der Intimrasur?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Nun, 25,5 Prozent der Männer und 14,2 Prozent der Frauen geben Sexualität als ein Grund für Enthaarungen an. Sicher: Ein erstmalig enthaarter Intimbereich kann zu intensiveren Erlebnissen führen, schließlich ist diese
HautDie Haut (griech. Derma, lat. Cutis) ist mit einer Gesamtfläche von ca. zwei Quadratmetern das größte menschliche Organ.
mehrregion bisher auch taktil durch Haare geschützt worden. Hier setzt aber bald ein Gewöhnungseffekt ein. In unseren Befragungen wurde zudem genannt, dass der Oralsex intensiver wäre, weil sich keine Haare mehr in den Mund verirren können. Man kann natürlich von diesen eher oberflächlichen Gründen auch in die Tiefe gehen, nach unterbewussten Motivationen suchen. Hier könnten Intimrasuren sowohl Sexualabwehr als auch gewachsenes Selbstbewusstsein verdeutlichen. Sexualabwehr deshalb, weil einem die völlige Nacktheit Unreife und Ungefährlichkeit, quasi Kindlichkeit und Nicht-Erwachsen-werden-wollen, demonstrieren kann. Was tatsächlich unter der bewussten Oberfläche verborgen liegt, muss aber im Einzelfall gesehen werden.
Enthaarung als Zeichen des gewachsenen weiblichen Selbstbewusstseins? Heißt dass, die rasierte Vagina wird zur "neuen Waffe der Frau"?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Eine Intimrasur entblößt, was bislang durch die Schamhaare verborgen war. Das schafft natürlich visuelle Anreize. Ebenfalls kann durch das völlige Nacktsein die taktile Barriere gebrochen werden. Unsere Betrachtungen haben ergeben, dass hier ein allgemeiner kultureller Trend in Sachen Intimästhetik zu Grunde liegt.
Wird mit der vorherrschenden Intimästhetik die Schamregion zum öffentlichen Schauplatz?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Die Ergebnisse aus unseren Studien belegen, dass sich besonders bei den Frauen durch die haarlose Ästhetik im Intimbereich neue Schönheitsnormen bilden. Das weibliche Geschlecht wird zunehmend sichtbarer und unterliegt nicht mehr primär der Privatsphäre. Viele Frauen sehen ihr Geschlecht jetzt mit anderen Augen. Nicht nur Brüste oder Po, sondern auch die Schamregion unterliegt mehr und mehr einem Gestaltungsimperativ.
Kann dies ein Grund dafür sein, warum die Zahl der Schönheitsoperationen im Intimbereich steigt? Eine länderübergreifende Umfrage ergab, dass von rund 10.000 Frauen fast die Hälfte mit ihrer Vagina unzufrieden ist. Sehen Sie hier einen möglichen Zusammenhang mit dem Massenphänomen Intimrasur?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Mit der neuen Einsicht in den Intimbereich bilden sich auch neue Schönheitsnormen heraus. Deshalb wäre es nicht verwunderlich, dass sich deshalb mehr Frauen für chirurgische Korrekturen im Intimbereich interessieren. Schauen wir uns Zahlen an: In Großbritannien hat sich die Zahl der operativen Verkleinerungen der Schamlippen in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt. Die meisten Eingriffe erfolgten aus ästhetischen Gründen.
Für viele Fachleute ist das erschreckend. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) warnte im Juli vor den möglichen Risiken, die Schönheits-OPs an der Vagina bergen, insbesondere dann, wenn diese medizinisch unnötig seien, also aus rein ästhetischen Gründen vorgenommen würden. Da laut ihrer Umfrage vor allem junge Frauen den intimen Haarkult betreiben, sehen Sie diese als besonders gefährdet, sich unüberlegt unters Messer zu legen? Wie schätzen sie die Bereitschaft der Frauen ein, sich auch dem Mode-Diktat der Designer-Vagina zu unterwerfen?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Generell haben wir in unserer Untersuchung unter Menschen, die sich die Körperhaare entfernen, eine liberalere Einstellung und größere Bereitschaft zu Schönheitsoperationen festgestellt. Rund ein Fünftel der Menschen, die "enthaaren", haben schon mal über eine Schönheits-OP nachgedacht. Einer anderen Studie zufolge würde knapp ein Viertel der jungen Mädchen zwischen 11 und 17 Jahren eine Schönheitsoperation als Geschenk annehmen. Das betrifft natürlich auch den Intimbereich. Junge Frauen geraten auch durch die mediale Darstellung zunehmend unter Druck, einem Intimideal zu entsprechen. Aus der von Ihnen vorhin zitierten Studie an knapp 10.000 Frauen geht nicht nur hervor, dass viele Frauen unzufrieden sind mit dem Aussehen ihrer Vagina, sondern auch, dass die Vagina für knapp die Hälfte der Befragten das Körperteil ist, über das sie am wenigsten wissen. Unwissenheit und Unsicherheit über die Erscheinungsvariationen der weiblichen Genitalien in Verbindung mit einer falschen Idealvorstellung wird von vielen Experten als einer der Hauptgründe für chirurgische Eingriffe im Intimbereich angesehen.
Konnten Sie auf Grund Ihrer Arbeit Erkenntnisse gewinnen, ob auch Männer mit ihrem Geschlecht unzufrieden sind und verstärkt über Schönheitsoperationen im Genitalbereich nachdenken oder trifft dieses Phänomen eher auf die Frauen zu?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Generell unterliegen Frauen viel stärker einem gesellschaftlichen Bewertungsdruck, der sich an ihrem Äußeren orientiert. Das belegen psychologische Studien bei Vorstellungsgesprächen oder bei Gerichtsverhandlungen. Nicht ohne Grund ist die Zahl der Schönheitsoperationen bei Frauen doppelt so hoch im Vergleich zu Männern. Auch wenn es im Geschlechterverhältnis in den letzten Jahrzehnten Veränderungen gab, werden aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse Schönheitsoperationen wohl auch in Zukunft eher von Frauen in Anspruch genommen werden. Zu unserer Studie: Wir haben eine Vielzahl von Daten erhoben, die noch sehr frisch sind und die wir noch nicht alle auswerten konnten. Wir erhoffen uns aber, weitere Aussagen zum Beispiel zu Emotionsregulation, Narzissmus sowie Depression und Körperenthaarung oder Schönheitsoperationen auch bei Männern treffen zu können. Mehr ist im Moment leider nicht zu sagen.
Können Sie eine Prognose abgeben, wie sich der Trend der Intimrasur weiterentwickelt?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Nun, ich denke, wir werden so wie in den vergangenen Jahrhunderten auch hier Trend- und Wellenbewegungen haben. Ich gehe davon aus, dass die glatt rasierte Scham genauso aus der Mode kommt wie jede andere Mode auch. Über kurz oder lang wird wieder üppig wachsendes Haar als schick gelten.