Was ich wusste: Bikram Choudhury ist ein sehr umstrittener Yoga-Meister. Aktuellen Pressemitteilungen zufolge kritisiert beispielsweise der deutsche Berufsverband der Yogalehrer, dass Hot-Yoga (eine Form des Hatha-Yoga) mit "der ursprünglichen Idee von Yoga - Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen - … nichts mehr zu tun habe". Auch Sportärzte sehen demzufolge in Hot-Yoga die Gefahr von zu großem Flüssigkeits- und Salzverlust, wenn nicht genug getrunken wird. Zudem könne es bei den hohen Temperaturen schnell zu einer Überdehnung der Sehnen und Bänder kommen, heißt es weiter. Auch an seinem extravaganten Lebensstil stößt sich so mancher Kritiker: Bikram, selbst Automechaniker, sammelt Luxusautos und teure Uhren, liest man immer wieder. Doch das Yoga-Imperium des Inders wächst stetig. Fast 1.000 Studios betreibt er inzwischen weltweit, seine Jüngerzahl nimmt täglich zu.
Zur Begrüßung gab mir der kleine Mann in safrangelber Lederjacke, schwarzer Hose, schwarzen Lackslippern mit Quaste und ziemlich abgelaufenen Ledersohlen, schwarzem Hut und HSV-Schal um den Hals nicht die Hand. Nein, er legte mir beide Hände auf meinen von der Schwangerschaft gewölbten Bauch. Ich war nicht sicher, in welche Richtung hier Energie floss. Ich sah lediglich, wie Bikrams Gesichtsausdruck sich für einen Bruchteil der Zeit total entspannte. Dann war dieser Moment auch schon vorbei und der Meister nahm sichtlich wohlgelaunt ob der allseitigen Aufmerksamkeit Platz zwischen seinen Jüngern - Lehrern der Yogaschule. Man diskutierte laut den schweißtreibenden Trainings-Vorabend. Den hatte unsere Redakteurin Beate, eine erfahrene Yogini, besucht. Etwa 80 Schüler folgten wie sie zweieinhalb Stunden den Anweisungen des nur mit einer schwarzen Badehose bekleideten Yoga-Meisters, die dieser über ein Head-Set gab. Bikram soll witzig und entspannt gewesen sein. Die 65 Euro Teilnahmegebühr pro Person flossen in die Bishnu-Ghosh-Foundation.
Ich setzte mich zu der fröhlichen Runde und fragte Bikram, ob wir beginnen wollen. Schließlich hatte ich sein Buch gelesen und eine Menge Fragen im Kopf. Verwundert nahm der Meister zur Kenntnis, dass ich das Interview mitschreiben und nicht aufzeichnen wollte. Und dann ließ er sich in seiner Mitteilsamkeit kaum bremsen. (Später sagte man mir, dass Bikram heute besonders guter Laune gewesen sei … - dem Himmel sei Dank!).
Bikram, Sie betonen immer wieder die Unterschiede zwischen Okzident und Orient. Verstehen "materialistische" Europäer oder US-Amerikaner Yoga überhaupt?
Bikram Choudhury: Den Spiritualismus dahinter wird der Westen nie verstehen.Können wir "Materialisten" unseren Kindern Spiritualität beibringen?
Bikram Choudhury: Lehrt Eure Kinder Liebe!Was kann Hot-Yoga bewirken?
Bikram Choudhury: Yoga hilft, Dich zu Dir selbst zu machen. In jedem von uns steckt Kraft. Jeder hat seinen eigenen Spirit. Ihn zu entdecken, das vermag Yoga zu unterstützen. Meine Schülerin Indira Ghandi (1917 bis 1984, Ex-Premierminsterin Indiens – Anmerkung der Redaktion) sagte mir nach der ersten Yoga-Stunde, dies sei der Beginn ihres neuen Lebens gewesen.Sie sehen sich selbst auch als Heiler?
Bikram Choudhury: Ja, ich bin ein Heiler. Unglücklicherweise starten die Menschen mit Yoga erst, wenn sie gebrochen sind. Ich helfe ihnen mit meinem Yoga, mit den körperlichen und seelischen Verletzungen klarzukommen. Ich habe vielen geholfen, Sportlern, Parkinson-Patienten, Totgesagten.Wie erklären Sie das Phänomen, dass Sie mit Hot-Yoga solche Besserung ungesunder, ja, kranker Zustände erzielen können?
Bikram Choudhury: Es ist ein unerklärliches Wunder. Wie soll ich das erklären? Startet Yoga … Ich brauche 90 Minuten, um eine 99,9-prozentige Diagnose zu stellen und die passende Therapie zu entwickeln. Das ist meine Gabe.Mit welchem Alter kann man Hot-Yoga praktizieren?
Bikram Choudhury: Jeder kann Yoga machen. Kinder ab zwei, drei Jahren starten damit. Meine Tochter haben wir mit sechs Monaten anfangen lassen.Braucht man einen Guru, um bei der Suche nach sich selbst Erfolg zu haben?
Bikram Choudhury: Ich hatte den besten. (Bikrams Guru war Bishnu Charan Ghosh, 1903 bis 1970, der damals Indiens bekanntester Yoga-Guru, Arzt und ein jüngerer Bruder Paramahansa Yoganandas, 1893 bis 1952, war. Letzterer schrieb das heute wohl populärste Buch über Yoga "Autobiografie eines Yogi" – Anmerkung der Redaktion.) Nein, man muss nur anfangen, Yoga zu praktizieren. Man muss sein Yoga-Karma nicht finden. Vor allem sind wir alle Menschen. Mit der Praxis des Yoga findest Du Dein Karma.Sie messen Ihrem Guru einen hohen Stellenwert bei. Wären Sie ihm überallhin gefolgt?
Bikram Choudhury: Und wenn er mich mitten aus dem Schlaf gerissen hätte: Ich folg(t)e meinem Guru zu 110 Prozent!Auch wenn er verlangt hätte, ‚Bikram, spring aus dem Fenster!’?
Bikram Choudhury: Warum sollte er das verlangen? Dass er mich von Kalkutta nach Bombay schickte, das war weitaus schlimmer, als ein Sprung aus dem Fenster. Ich war jung und habe alles hinter mir gelassen … meine Familie …In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die meisten von uns viel zuviel essen – mit dem Ergebnis, dass etwa die Hälfte der aufgenommenen Energie bei den meisten zu Fett verwandelt wird. Was nehmen Sie am Tag zu sich?
Bikram Choudhury: Ich esse einmal am Tag, meist am frühen Morgen, um drei, vier Uhr. Fleisch, Fisch, Ei. Obst.Sie frühstücken nicht?
Bikram Choudhury: Yoga ist Energie. Du brauchst kein Frühstück.Sie sind über 60. Trainieren Sie noch jeden Tag?
Bikram Choudhury: Ja. Auch auf Reisen. Bis zu vier Stunden täglich.Ihr Yoga-Stil ist einerseits sehr erfolgreich, Sie lehren seit mehr als 35 Jahren in den USA. Ständig kommen neue Studios hinzu. Zu Ihren Jüngern zählen auch viele Promis. Andererseits werden Sie häufig kritisiert, weil Ihr Yoga unter extremen Bedingungen praktiziert wird: 38 bis 40 Grad Celsius Raumtemperatur (in Japan sogar bis zu 60 Grad Celsius, habe ich gelesen), 90 Prozent Luftfeuchtigkeit. Was sagen Sie zu Ihren Kritikern?
Bikram Choudhury: Ich bin der Beste in der Welt. Alles andere ist ‚bullshit’ ("Mist" – Anmerkung der Redaktion). Bei 40 Grad Celsius spürt jeder die übernatürliche Kraft.In Ihrem Buch beschreiben Sie nicht nur Ihre 26 Hot-Yoga-Übungen und die dazugehörigen Atemübungen. Viel Platz widmen Sie dem Seelenleben, den vier Abschnitten des Lebens mit ihren unterschiedlichen Inhalten und Prioritäten. In welchem Lebensabschnitt befinden Sie sich derzeit?
Bikram Choudhury: Im zweiten: Ich erfülle mein Karma -Yoga.Darauf folgt der dritte Abschnitt "Dienst an der Gemeinschaft und das Lösen von Bindungen". Können Sie sich vorstellen, eines Tages auf Familie und Luxus zu verzichten?
Bikram Choudhury: Ich weiß nicht, wir werden sehen …Nachdem ich Bikram fotografiert hatte, schrieb er in mein Exemplar seines neuen Buches: "Für die liebe Doreen. Liebe & Frieden. Bikram." Ich hoffe, ich habe die Botschaft verstanden. Bikram schien darüber besorgt zu sein. Schließlich fragte er während des Interviews ständig nach, ob ich die "Message" denn auch mitbekommen hätte. Ein Guru eben. Als ich Bikram und sein Gefolge wenig später verließ, sang der kleine Mann gerade ein fröhliches, indisches Lied.
Zur Person: Bikram Choudhury
Geboren wurde Bikram Choudhury 1946 im indischen Kalkutta. Schon als kleines Kind lernte er die 84 Yoga-Stellungen. Sein Guru war für mehr als 20 Jahre der berühmte Arzt und Yogi Bishnu Ghosh. Mit 13 siegte Bikram als jüngster Teilnehmer im sogenannten All-India-Yoga-Asana-Wettbewerb. Seit 1973 lebt Bikram in den USA und eröffnete in Los Angeles sein erstes Studio. Zu seinen Schülern zählen Stars wie Madonna, Susan Sharandon, Martin Sheen und Ashley Judd. Mittlerweile gibt es mehr als 1.700 Hot-Yoga-Studios weltweit, die Bikrams 26-Sequenzen-umfassendes Hot-Yoga lehren.Infos zum Buch: Bikram CHoudhury: "Bikram-Yoga. Das Originalbuch zu Hot Yoga. Der Weg zu Gesundheit und innerer Zufriedenheit." Riva Verlag, München 2009, ISBN 978-3-936994-93-3, Preis: 19,90 Euro.